Aschermittwoch, 22. Februar 2023
Heute, am 22.02.2023, ging es morgens am Parkplatz des Merckstadions mit dem Reisebus los. Auf der achtstündigen Busfahrt haben wir dann von Frau Rützel erste Eindrücke und Informationen aus und über Theresienstadt und vor allem über die Geschichte der jüdisch Gläubigen aus Darmstadt erfahren. Danach haben wir uns mit einzelnen Biographien der aus Darmstadt Verschleppten beschäftigt, um, wie der Titel unseres Projekts sagt, „Von der Nummer zum Namen“ zu kommen. Abends kamen wir pünktlich um 18 Uhr zum Abendessen (das um 17:30 begann) in Theresienstadt an. Nachdem die Zimmer bezogen und das Programm von den beiden Freiwilligendienstleistenden von der Organisation „Sühnezeichen“ Max und Emma vorgestellt wurden, haben wir uns um 21 Uhr nach einer kurzen Auspackphase zusammengesetzt, um zu entscheiden was wir an DarmstädterInnen weitergeben möchten. Unser Ergebnis dabei war der Entschluss, zu unserem Denkmal auch noch eine kurze Dokumentation zu drehen, die allen nachfolgenden Schülern und Interessierten zeigt, was wir bei diesem Projekt über die Schicksale der damaligen Juden erfahren haben.
Donnerstag, 23. Februar 2023
Heute Morgen hat der Tag mit Frühstück, um 8 gestartet. Neun Uhr hieß es für alle Abfahrt nach Prag mit Tom, dem Busfahrer. Nach einer knappen Stunde Fahrt sind wir angekommen und hatten circa eine halbe Stunde Zeit, um auf eine kurze Erkundungstour zu gehen.
Pünktlich um elf ging die Stadtführung mit Frau Dubcova los. Sie führte uns zu fünf unterschiedlichen Synagogen.
Zuerst haben wir uns mit der Maisel-Synagoge und den Grundstrukturen des Judentums befasst. In ihr wurde hauptsächlich die Zeit des Judentums von 1000 bis zu den josephinischen Reformen thematisiert.
Danach sind wir weiter zur spanischen Synagoge gegangen. Diese vermittelt ein vollkommen anderes Gefühl, nicht nur ist sie prunkvoller und farbtechnisch um einiges dunkler, sondern auch ihr Inhalt ist es: in ihr wurde die Zeitspanne von den josephinischen Reformen bis zu der Zeit des Weltkrieges behandelt. Es gab viele Schriftstücke und Bilder von damals zu sehen, die vor allem die Vorurteile gegenüber Juden verdeutlicht haben und dass diese selbst kleinste Kindern schon erfahren haben. So gab es beispielsweise ein Kinderbuch zu sehen, in dem Juden – für Kinder „anschaulich“ – mit Giftpilzen verglichen wurden.
Im Anschluss sind wir zur Staronova-Synagoge gelaufen. Diese ist unterirdisch und relativ klein. Die Männer mussten eine Kippa tragen, da es noch immer ein orthodoxes Gebetshaus ist und nicht wie die anderen Synagogen zu einem Museum umfunktioniert wurde.
Die Klausen-Synagoge war unser nächstes Ziel. In ihr haben wir einen Einblick in die Gebrauchsgegenstände in jüdischen Haushalten bekommen, beispielsweise in die unterschiedlichen Gedecke, Requisiten der Tora, Hochzeitsausstattung und vieles mehr.
Das letzte Ziel war die Pinkas-Synagoge. Sie unterschied sich von den anderen Synagogen vor allem dadurch, dass eher die Einzelschicksale hervorgehoben wurden. Es war äußerst bedrückend, das Ausmaß der nationalsozialistischen Verbrechen so vor Augen geführt zu bekommen: denn die Wände dort sind nicht nur einfache Mauern, sondern auf sie sind in kleiner Schrift die Namen der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus in Böhmen geschrieben. Das wirklich Erschreckende ist jedoch, dass diese so große Menge an Namen nur einen winzigen Bruchteil aller tatsächlichen Opfer darstellen kann. Besonders nahetretend waren die Zeichnungen der Kinder über ihre traumatischen Erlebnisse, die im oberen Stockwerk auf uns warteten – Zeichnungen, in dunklen Farben, von ihrem Alltag im Ghetto, der Deportation… Erstaunlich war aber vor allem, dass nicht alle Zeichnungen diese traurige Realität widerspiegelten: es waren auch einige dabei, die zeigten, dass die Kinder trotz allem noch immer von einer Zukunft, häufig in Palästina, träumten.
Abschließend sind wir auf den jüdischen Friedhof gegangen. Nach unserer ereignisreichen Stadtführung hatten wir Freizeit. Viele von uns haben zu Mittag gegessen, unteranderem Trdelnik – typisch tschechische Baumstritzl.
Zu guter Letzt gab es einen Wettbewerb gegen die Lehrer, wer zuerst am Bus sei, den wir selbstverständlich mit großem Vorsprung gewonnen haben. Für uns hieß es Abschiednehmen von Prag, aber einen Prager haben wir als Souvenir mitgenommen.
Freitag, 24. Februar 2023
8 Uhr – Es gab Frühstück in der Magdeburger Kaserne. Heute stand die Erkundung der Stadt Terezín an. Um 9 Uhr trafen wir uns dafür im Dachboden der Magdeburger Kaserne, welche früher als Gebäude für die jüdische Selbstverwaltung genutzt wurde. Das heißt, unter der Leitung der SS, welche nicht ständig in großer Anzahl anwesend war, wurde hier von Lagerinsassen das Geschehen des Lagers verwaltet. Beispielweise wurden hier die Deportationslisten geschrieben und/oder kulturelle Veranstaltungen wie Konzerte oder das Theaterstück „Brundibar“ organisiert. Dort im Dachboden wurde uns die Geschichte Theresienstadts nähergebracht:
Die Stadt Theresienstadt wurde 1780 von Joseph II. gegründet und diente ursprünglich dazu, die Stadt Prag vor preußischen Angriffen durch eine Festung zu schützen. Der Name „Theresienstadt“ geht auf die Mutter Josephs zurück: Maria Theresia. Die einfache Struktur einer Kasernenstadt und die gute Sicherung des Areals machten Theresienstadt zu einem nahezu perfekten Ort für die Zwecke der Nationalsozialisten.
Neben diesen örtlichen Gegebenheiten sahen und beschäftigten wir uns auch mit den Umständen, unter denen die Häftlinge leben mussten.
Denn die Sammelunterkunft, die wir besichtigten, war alles andere als gemütlich: 60 Personen mussten auf engstem Raum miteinander leben, jeder hatte nur etwa 2 Quadratmeter Platz. Privatsphäre oder gar Hygiene waren lediglich ein Wunschdenken der meisten. Auf diese katastrophalen Bedingungen folgten viele Krankheiten und die Sterberate war dementsprechend hoch.
Etwas besser hatten es die berühmten Persönlichkeiten, die nach Theresienstadt deportiert wurden. Auch von diesen haben wir eine Unterkunft besichtigt, eine Familie hatte dort beispielsweise eine kleine Zwei-Zimmer-Wohnung für sich. Aber wie alles in Theresienstadt war auch dieser scheinbare Komfort nicht ohne Hintergedanken: denn Theresienstadt war als Durchgangslager bekannt, wie wir erfuhren: es war hier, wo prominente Persönlichkeiten hingebracht und auch zu Propagandazwecken genutzt wurden. Auch sollte dadurch Nachfragen vorgebeugt werden, die zur Aufdeckung der systematischen Vernichtung hätten führen können. Und die Nationalsozialisten waren mit ihrem Plan erfolgreich.
Denn selbst, als Theresienstadt von einer Delegation des Internationalen Roten Kreuzes (IRK) besichtigt wurde, hielt die Farce stand: Theresienstadt war zu einem Vorzeigeort unter den Konzentrationslagern aufbereitet worden, die gesamte Stadt wurde extra für diesen Besuch verschönert, Geschäfte wurden eröffnet, abgemagerte Gefangene deportiert und denen, die dem Bild der Propaganda entsprachen, bestimmte Sätze instruiert. Szenen, wie Kinder, die einen SS-Mann zum Spielen bitten, sollten uns heute zeigen, wie absurd das Ganze war. Doch die Delegation des IRKs fasste das Ganze als überwiegend positiv auf und verzichtete daraufhin auf weitere Besuche von anderen Konzentrationslagern.
Wie schwierig das Leben auch der Kinder war, zeigen die vielen Kinderbilder, die wir in dem Gebäude der ehemaligen Schule besichtigten. Die Kinder hatten diese im Rahmen des Schulunterrichts, den sie hier, trotz Verbot der Nationalsozialisten, erhalten haben, gemalt. Die Bilder sind von düsteren Farben geprägt, die einen grausamen Alltag und das Leid der Menschen ausmalten.
Kurz vor dem Mittagessen ging es für uns dann noch in Richtung des Krematoriums, zunächst jedoch zur Zeremonienhalle, wo die Leichen der Insassen zur Beerdigung vorbereitet wurden. Auch hatte die jüdische Selbstverwaltung dort die Möglichkeit geschaffen, zumindest noch kurz Abschied zu nehmen.
Wir haben hier auch die Särge gesehen, in denen die Toten begraben wurden. Es waren sehr kleine Särge, so klein, dass man sich unwillkürlich fragte, wie die Menschen dort überhaupt hineingepasst haben konnten. Die Erkenntnis, die kurz darauf kam, war ernüchternd: vermutlich lag es an der anstrengenden Arbeit und dem fehlenden Essen, dass die Menschen klein und abgemagert genug für diese waren.
Das waren die Eindrücke, die wir mit zum Mittagessen nahmen.
Danach machten wir uns wieder auf, diesmal jedoch auf direktem Weg zum Krematorium. Es ist ein großes, gelbes Gebäude, das mitten auf dem Friedhof steht. Vielleicht nicht direkt unscheinbar, aber zumindest nicht so bedrohlich, dass man von ihm erwartet, Zeuge der vielen Toten zu sein.
Innen sind noch die alten Öfen vorhanden, ebenso wie Tische zur Obduktion. Es war gespenstisch ruhig, trotz der vielen Personen, die sich im Krematorium aufhielten. Jeder Schritt auf dem Boden hallte unnatürlich laut wider.
Und trotz der bedrückenden Stimmung blieb es schwierig, sich das ganze Ausmaß, die ganze Masse an Toten vorzustellen, die hier verbrannt wurden. Verbrannt, obwohl das den Sitten und Anforderungen des Judentums widerspricht.
Diese Stille hielt sich in unserer Gruppe noch für mehrere Minuten.
Mit diesen Emotionen, den noch unverarbeiteten Eindrücken, kehrten wir wieder in unsere Unterkunft zurück.
Dort setzten wir unser Thema „von Nummern zu Namen“ um: anhand verschiedener Dokumente versuchten wir einzelne Geschichten von Häftlingen zu rekonstruieren. Wir gaben Ziffern, einfachen Häftlingsnummern, einen Sinn, eine Geschichte, einen Namen. Es war beeindruckend, zu sehen, was für unterschiedliche Schicksale die Menschen hatten, bevor sie nach Theresienstadt kamen, möglicherweise auch aufeinandertrafen. Dass sie eben nicht nur Zahlen waren, sondern Menschen mit einem Leben, das ihnen entrissen wurde.
Insgesamt sah das Ghetto 150.000 Menschen, davon 10.000 Kinder. Von all diesen kamen 37.500 bereits in Theresienstadt um, von den restlichen wurde der Großteil später in anderen Konzentrationslagern ermordet.
Samstag, 25. Februar 2023
Nachdem die gesamte Gruppe mit vereinten Kräften ein köstliches Frühstück gezaubert hat, startete ein weiter intensiver Tag mit vielen prägenden Eindrücken.
Heute ging es zunächst in den östlichen Teil der Theresienstädter Festungsanlage, die sogenannte Kleine Festung. Die ebenfalls sternförmig angeordnete Festungsanlage diente einst als Gefängnis für Häftlinge Österreich-Ungarns, unter anderem dem bekannten Attentäter Gavrilo Princip (Erster Weltkrieg).
Während der nationalsozialistischen Besatzung wurde sie von der SS bemannt und als Gestapo-Gefängnis benutzt. Hierin waren tschechische Widerstandskämpfer, Kommunisten und Juden aus dem Theresienstädter Ghetto zur Bestrafung inhaftiert. Vielfältige Krankheiten wie z.B. die Ruhr oder Typhus, beengte und dunkle Zellen und der sadistische Lagerchef Jöckel machten allen Gefangenen das Leben unvorstellbar schwer. Ein Film im alten SS-Kinosaal sowie eine eindrückliche Führung vermittelten uns diese Umstände hautnah, denn die besichtigten Zellen, kamen unserer Gruppe mit ca. 20 Personen schon eng vor – unvorstellbar, dass hier einst 60 Personen leben mussten. Viele der Inhaftierten verließen dieses Gefängnis tragischerweise nicht lebendig. Lediglich drei Personen gelang die Flucht. Unzählige andere verloren ihr Leben, teils wegen menschenunwürdiger Lebensumstände, teils wegen Hinrichtungen auf dem Schießstand.
Sehr bewegt von diesen Erfahrungen ging es nach dem Mittagessen zum Skype-Gespräch mit der Zeitzeugin Evelina Merova. Sie ließ uns an vielen Stationen ihres Lebens teilhaben, unter anderem verbrachte sie 18 Monate im von uns besuchten Kinderheim in Theresienstadt. Von dort aus brachte man sie nach Auschwitz-Birkenau und nur durch glückliche Zufälle war sie die einzige ihrer Familie, die überlebte, um dann ein Leben als Jüdin in der Sowjetunion zu verbringen. Überrascht hat uns die positive Darstellung Theresienstadts in den Ausführungen von Frau Merova. Während sie in Prag aufgrund ihrer „jüdischen Abstammung“ nur noch auf dem Friedhof spielen und nicht mehr in die Schule gehen durfte, gab es in Theresienstadt noch ein Angebot von Kultur (z.B. die Kinderoper Brundibar) und Bildung. Es muss aber betont werden, dass all diese Chancen nur dem aufopfernden Einsatz von einzelnen Juden und Jüdinnen zu verdanken ist.
Dieses Gespräch war eine ergreifende Begegnung, für die wir sehr dankbar sind, zumal es möglicherweise eine der letzten Gelegenheiten für uns war, mit Menschen in den direkten Austausch zu kommen, die aus eigener Erfahrung von den Ereignissen berichten können. Ihre selbstbewusst verschmitzte Art mit unseren Fragen umzugehen, wird uns sicher noch lange im Gedächtnis bleiben. Allen, die nicht dabei sein durften, sei ihre Biografie „Leben auf einer Seite“ empfohlen!
Den Abschluss des Tages und damit der Reise bildete ein freiwilliger Ausflug in das benachbarte Leitmeritz – eine pittoreske Stadt an der Elbe mit feinem kulinarischen Angebot. Nach sehr intensiven und kräftezehrenden Tagen, fahren wir morgen alle verändert und bereichert nach Hause. Allen Unterstützern und Interessierten danken wir sehr.